Im Zuge seiner 25-jährigen Tätigkeit in der entwicklungspolitischen Kulturarbeit kann kulturen in bewegung seine eigene Geschichte des Wachsens und Lernens als einen Bogen zwischen mehrerer großer internationaler Projekte spannen. Dieser Prozess des Wachens und Lernens entstand zu Beginn unbewusst und wurde im Laufe der Zeit zu einem bewussten Vorgang des Reflektierens und einer damit einhergehenden Veränderung der eigenen Haltung in Bezug zu Themen wie Repräsentation, Machtpolitiken und der eurozentristischen Perspektive auf Kulturarbeit.
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2012, vor also fast 10 Jahren, startete kulturen in bewegung als Partnerorganisation gemeinsam mit Bulgarien, Dänemark, Deutschland und Slowenien das EU-Projekt Strengthen Creative Cooperation im Rahmen der Förderschiene Creative Europe. Zielsetzung dieses Projektes war Kulturaustausch und Netzwerk-Arbeit zwischen sogenannten "local authorities", NGOs und Jugendkulturgruppen aus dem so genannten globalen Süden. Das Projekt vermittelte in Kooperation mit Schulinitiativen, Veranstalter*innen, Städten und Gemeinden (in Österreich die Stadtgemeinde Langenlois) und NGOs entwicklungspolitisch relevante Themen durch Tourneen von Jugendtheatergruppen. Die Jugendlichen aus dem Süden
vermittelten den Jugendlichen in Europa, dass die Möglichkeit besteht, über kreative und kulturelle Beschäftigung zur Entwicklung des Selbstbewusstseins und neuer Perspektiven beizutragen. Die eingeladenen Gruppen brachten ihre unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen und die Vielfalt der Kulturen in die Schulen und zu den Jugendlichen. Dieses Projekt war einer der Auslöser für kulturen in bewegung sich genauer mit den Fragen über Repräsentation und Empowerment zu beschäftigen und sich mit der eigenen Position und Haltung intensiver und vor allem kritischer auseinanderzusetzen. Einerseits war es kulturen in bewegung immer ein Anliegen Kunst und Kultur als eine Bildungsressource zu nutzen, andererseits muss gerade im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit gefragt werden, wer nutzt welche Ressource von wem aus welchen Gründen. Dies muss offen dargelegt und reflektiert werden. Dabei ist es unumgänglich hegemonialen Repräsentationspolitiken und dem eurozentristischen Blick auf Kunst und dem eigenen Handeln in diesem Spannungsfeld kritisch zu begegnen und die eigene (Macht)Position sowie das System, in dem man tätig ist, zu reflektieren.
Von 2017 bis 2019 war kulturen in bewegung Teil des EU-Projektes Dis-Othering – beyond Afropolitan & other labels war, um sich mit diesen Fragestellungen sturkturell und künstlerisch zu beschäftigen. Das Ziel des Projektes war, ein neues Konzept vorzuschlagen, bei dem sozialer Identitätsaufbau nicht auf der Konstruktion des „Anderen“, sondern durch Projektion auf das Selbst erfolgt. Es ging darum, die Fülle der Variablen, die uns ausmachen, anzuerkennen und zu verkörpern. Bei dem Projekt stellte Überlegungen zu den von Gesellschaft und Institutionen angewandten Methoden, die „das Andere“ konstruieren und kultivieren, in Form von Diskussionsrunden, Symposien, Performances, Ausstellungen, einem Festival sowie einer „Kartopraphierung über Diversität in europäischen Kulturinstitutionen an. Dabei ging es um den Prozess der Kommerzialisierung des „Anderen“ und die damit einhergehenden Formen der Bevormundung, die im Kulturbereich vorzufinden sind. Die durch dieses Projekt initiierte Schwerpunktsetzung hat kulturn in bewegung seither versucht in all seinen Projektschienen wie Fem*Friday, Lalala – Konzerte für Kinder und cultureXchange wie einen roten Faden durchziehen. So zeigt sich deutlich, dass die kritischen postkolonialen Ansätze sowie die Versuche einer Neukonzipierung von Haltungen von einem einzelnen Projekt durch die kritische Reflexion von kulturen in bewegung mit sich selbst auch Auswirkungen auf das Weiterführen der eigenen Arbeit in anderen Projekten hat(te). Daraus lässt sich ableiten, dass kritische Kulturarbeit im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit nicht nur das Publikum und seine Perspektiven auf das gesellschaftliche Zusammenleben, sondern auch die beteiligten Akteur*innen sowie Institutionen und deren Weltanschauungen beeinflusst und transformiert werden (können). Eine erstaunliche Leistung der Kunst!
Seit 2020 läuft nun unser neues EU-Projekt Smashing Wor(l)ds: Cultural Practices for re/Imagining & un/Learning Vocabularies, das eine multidisziplinäre Plattform für einen inklusiven Dialog zwischen verschiedenen Lebenspraktiken, Geschichten und Stimmen schaffen will, um die soziale und kulturelle Marginalisierung zu verringern. Dabei werden kulturelle Praktiken hinterfragt und zukünftige Vokabulare geschaffen werden, die zu Inklusion, Kooperation und Transformation inspirieren. Das Projekt wird Worte der Ungleichheit und Welten der Ausgrenzung künstlerisch zerschlagen und eine Vielzahl von Erzählungen gegen Rassismus, Homophobie und Nationalismus hervorbringen. Die Arbeit an der Dekolonisierung kuratorischer Praktiken und Institutionen läuft seit längerem, aber den Fokus auf inklusive Vokabulare zu richten, ist aktuell. Ziel ist es, Perspektiven marginalisierter Gruppen wie Geflüchteten, Migrant*innen, Kollektive mit unterschiedlichem Hintergrund und feministische queere Communities sichtbar zu machen. Damit soll ein öffentliches Bewusstsein entstehen sowie integrative Kommunikationsformen entwickelt werden. Es lässt sich erkennen, dass kulturen in bewegung mit diesem Projekt einen Schritt weitergehen möchte: Von dem Anstoßen eines Reflexionsprozesses hin zu einer konkreten antidiskriminierenden Praxis, die auch die Sprache besitzt, um weiter vermittelt und verstanden zu werden.
mehr zu Strenghten Creative Cooperation 2012
Strengthen Creative Cooperation
Seit Januar 2012 führt kulturen in bewegung als eine der PartnerInnen das EU-Projekt "Strengthen Creative Cooperation" (Europeaid) in Österreich durch. Zielsetzung des Projektes ist Kulturaustausch und Netzwerk-Arbeit zwischen sogenannten "local authorities", NGOs und ugendkulturgruppen aus dem Süden. Das Projekt wird neben Österreich auch in Bulgarien, Dänemark, Deutschland und Slowenien durchgeführt. Gemeinsam mit den Partner-Organisationen werden gemeinsame jährliche Kampagnen zu MDG Themen, wie Armutsminderung, IV/AIDS, soziale Integration, u.a. durchgeführt.
Das Projekt vermittelt in Kooperation mit Schulinitiativen, VeranstalterInnen, Städten und Gemeinden (in Österreich die Stadtgemeinde Langenlois) und NGOs entwicklungspolitisch relevante Themen durch Tourneen von Jugendtheatergruppen. Die Gruppen sind durchwegs sozio-kulturelle Projekte aus Südafrika, Uganda, Kenia, Indien, Kambodscha, u.a. Ländern. Mittels "peer learning" kommen die Lebenswelten der Jugendlichen einander näher. Die Jugendlichen aus dem Süden vermitteln den Jugendlichen in Europa, dass die Möglichkeit besteht, über kreative und kulturelle Beschäftigung zur Entwicklung des Selbstbewusstseins und neuer Perspektiven beizutragen.
Im Mai/Juni 2012 besuchte die Gruppe Shangilia Mtoto wa Africa Österreich. Shangilia Mtoto wa Africa bedeutet so viel wie „Freue Dich, Kind Afrikas." Hinter dem Namen verbirgt sich ein Projekt, das 1994 entstand, als die Schauspielerin Anne Wanjugu einen Film mit Straßenkindern in Nairobi drehte. Sie war fasziniert von der schauspielerischen Begabung dieser Kinder. So hängte sie ihren Schauspielerjob von einem Tag auf den anderen an den Nagel und widmete ihr Leben den Straßenkindern Nairobis. Aus anfangs 17 Kindern, denen sie ein Zuhause gab, sind mittlerweile 230 Kinder geworden. Das Straßenkinderprojekt liegt in Kangemi, einem Slumgebiet im Westen der Stadt. Shangilia besteht aus einem Heim und einer Schule. Wichtig für die Arbeit des Projektes sind die Theater-, Musik und Akrobatik-Gruppen, die in einem eigenen Theater auftreten können. Die kulturelle Arbeit gibt den Kindern Selbstachtung und Selbstbewusstsein - und mit den Auftritten soll das Bewusstsein für die Problematik der Straßenkinder in Kenia geweckt werden.
Neben einem einwöchigen Aufenthalt bei Gastfamilien in Langenlois tourte die Gruppe mit einem Programm bestehend aus einer lebendigen Mischung aus Zirkusnummern, traditionellen Tänzen und modernen Liedern, durch Österreich. Neben zahlreichen Auftritten boten die Kinder und Jugendlichen Workshops an Jugendzentren und Schulen an, in denen sie die TeilnehmerInnen nicht nur mit Menschenpyramiden, Jonglagen, Balance- Nummern und Akrobatik begeisterten, sondern auch Einblicke in ihre Lebenswelt in den Slums Nairobis gewährten.
Die Mädchen-Jugendtheatergruppe EncontrARTE verbrachte im Oktober 2012 im Rahmen eines von kulturen in bewegung/VIDC organisierten Aufenthaltes 15 Tage in Österreich. Die jungen Mädchen sind in ihrer Heimat in Ciudad Quetzal/Guatemala City in ein sozio-kulturelles Jugendprojekt involviert, in dem sie versuchen, mittels kultureller Tätigkeit Strategien gegen strukturelle Gewalt, mit der sie sich in ihrem Alltag tagtäglich konfrontiert sehen, zu entwickeln. Durch die gemeinsame kreative Tätigkeit schöpfen sie Kraft und Motivation, um den vorherrschenden Problemen zu begegnen. Insgesamt wurden 6 Workshops an Schulen und 7 Schul- bzw. öffentliche Auftritte in Wien, Niederösterreich und Salzburg realisiert.
Im Stück Creacion Colectiva beeindruckte die Gruppe mit hervorragender schauspielerischer Leistung. Das Stück veranschaulichte die Repressalien, denen die jungen Mädchen ausgesetzt sind und die Schauspielerinnen schufen einen Bilderbogen an Szenen, die unter die Haut gingen und Betroffenheit beim Publikum auslösten. Die Mädchen trugen somit öffentlichkeitswirksam zur Bewusstseinsbildung für frauenpolitische Belange bei: Themen wie Gewalt und Missbrauch wurden im Stück schonungslos dargestellt und somit enttabuisiert. Neben den bedrückenden Szenen wurden aber auch Auswegs-Szenarien entwickelt und gezeigt: Das Projekt an sich, das seinen Schwerpunkt ganz gemäß des Titels der Theaterproduktion Creacion Colectiva, i.e. auf „gemeinsames Erschaffen“, legt, konnte somit sehr gut vermitteln, wie es der Gruppe gelingt, sich durch starken Zusammenhalt und Solidarität Missständen entgegenzusetzen. Dadurch vermittelten sie - vor allem an Jugendliche - welche „Power“, eine aktive, künstlerische Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation entfalten kann und zu einem eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Lebensführung von Frauen und Mädchen beitragen kann.
Mit ihren Aufführungen und Workshops gelang es EncontrARTE, Jugendlichen hier in Österreich Weltsicht zu vermitteln und zur Auflehnung gegen (strukturelle) Gewalt zu ermutigen. Die ZuseherInnen wurden eingeladen, die Allianzen und den solidarischen Zusammenhalt in ihren eigenen Leben kritisch zu hinterfragen. Mädchen und anderen ZuseherInnen und Workshop-TeilnemherInnen wurde vermittelt, dass der so häufig praktizierte Rückzug in die Einsamkeit angesichts von Gewalt und Diskriminierung kaum Änderung herbeizuführen vermag und dass der Austausch und die gemeinsame Auseinandersetzung mit Gleichgesinnten oft wesentlich mehr Kräfte zur Verbesserung von Lebenssituationen bündeln kann.
In den jeweils nach den Stücken eingeplanten Publikumsdiskussionen und Gesprächen (mit Übersetzung) konnten Fragen seitens des Publikums gestellt werden und weiterer Austausch stattfinden.
Die Workshops boten auf anschauliche Weise Einblick in Strategien, diesen Zusammenhalt durch gemeinsames künstlerisches Schaffen zu verfestigen: Gemeinsam mit Schulklassen bereiteten die Mädchen eine „Comparsa“, eine Art Karnevalsumzug mit theatralen Elementen, vor. Ziel der Workshops war es, mittels kreativer Beteiligung und der gemeinsamen Vorbereitung von Materialien im Rahmen einer offenen Kreativ-Werkstatt zu gemeinsamen Kunst-Aktionen zu motivieren. Neben Körper- und Atemübungen zur Einstimmung, dem Herstellen von Fahnen, Masken und Zauberstäben, und der tatsächlichen Umsetzung eines kleinen Umzuges in der jeweiligen Schule kamen auch verbale Kommunikation zum Austausch von Ideen und Eindrücken nicht zu kurz.
Für beide Projekte hatte kulturen in bewegung/VIDC bereits im Vorfeld Folder produziert und an die Schulen und Veranstaltungsorte geschickt, sodass sich die Schulklassen auf das Thema vorbereiten konnten, bzw. die TheaterbesucherInnen nachlesen und nachrecherchieren konnten. Die Folder boten neben kurzen Ländereinführung auch Infos zu Aktivitäten der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, zum Stück und den Projekten. Weiters werden im Rahmen von „Strengthen Creative Cooperation“ Unterrichtsmaterialien zu MDG Themen erstellt. LeherInnen-Handbücher und Unterrichtsmaterialien zu Poverty Reduction sowie Peer Learning stehen in mehreren Sprachen auf der Projektwebsite gratis zum Download zur Verfügung.